Er wollte schon immer mal einen Roman schreiben. Er hatte es satt, immer nur statt Dichter „Verdichter“ genannt zu werden. Obwohl, die Dinge im Gegenlicht zu sehen und dann auf das Wesentliche herunter zu brechen, war ihm schon immer wichtig gewesen. „Die Wahrheit liegt immer im Kern“ besagte eine alte Weisheit. Und dazu musste man die Schalen gnadenlos wegbrechen, aufbrechen, das Essentielle erkennen und bloßlegen. Mit einfachen, klaren Worten deutlich machen, was der eigentliche Ursprung war. Und was aus verschiedenen Interessen drum herum gekleistert wurde, um Herrschaft und Macht ausüben zu können. Dazu konnte er keinen festen Weg gehen, er musste variabel im Denken bleiben. Offen für das Außergewöhnliche, für das Unterdrückte, für das Verborgene, für das Niegedachte. Er musste sich versenken können in sein tiefstes Unterbewusstsein, um die Farben in ihrer Ursprünglichkeit zu sehen, um den Klang der Worte über ihre Vibrationen nachempfinden zu können. Um Form und Klang als eine Einheit zu sehen und um das allumfassende Webmuster zu ahnen und in Worte zu fassen, damit jeder es nachvollziehen konnte.
Jedes Mal war er total erschöpft, wenn er aus dieser Trance wieder erwachte und seinen Geist aus dem außergewöhnlichen Zustand entließ. Aber es gab ihm die Befriedigung und vor allem die Erkenntnisse, die er gesucht hatte. Die ihm so wichtig waren. „Nein!“, entschied er dann, „Roman ist doch nichts für mich!“
(223 Worte)
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Obwohl es ein grandioser Roman werden könnte, nur eben nichts Übliches 😉 Eine sehr schöne Etüde, Werner
Liebe Grüße
Alice
Danke!
Vielleicht ja eine Kurzprosa-Sammlung? 😉 Ein schöner Einblick in den Gedankenprozess eines Anderen.
Grüße, Katharina
Sehr philosophisch, lieber Werner, du überraschst und beeindruckst mich immer wieder. Und der Poet schimmert durch deinen Text ebenfalls durch.
Ich sehe dich nach Worten ringen, um sie zu verdichten, um deine Eindrücke auf den Punkt und so exakt wie möglich zu formulieren. Ich kann mich irren, klar, aber den Prozess kenne ich aus eigenem Erleben.
Herzliche Grüße und vielen Dank
Christiane 😉
Nein, Du irrst Dich nicht, liebe Christiane. Es ist schon ein Stück weit das eigene Ringen, was ich da beschrieben habe.
Ist es nicht total befriedigend, wenn man es geschafft hat und mit seinen Formulierungen irgendwann zufrieden ist? 😁👍
Absolut!
Nochmal zu Deinem Kommentar: Hannah Buchholz hat im Schillo Verlag einen neuen Gedichtband herausgebracht „Blog Pausen Buch – Tag I-V“. Der beschreibt auf gut 100 Seiten sehr eindrucksvoll den Kampf mit und um das Wort. Kann ich Dir nur empfehlen.
Danke dir! Schau ich mir an.