ABC-Etüden 03-04.21 – Schleichender Tod


Link zu Christianes Schreibeinladung

(CN:)

In diesem Beitrag geht es um Krieg und ungesühnten Völkermord durch den Einsatz chemischer Waffen. Wer sich durch diese Begriffe oder die beschriebenen Ereignisse getriggert fühlen könnte: bitte nicht weiterlesen.


Bild von WikiImages auf Pixabay  

Schleichender Tod

Der Morgen graut. Leise schieben sich die Konturen der angrenzenden Höhenzüge in das unschuldige Licht der aufgehenden Sonne. Plötzlich: Alarmsirenen schrillen, Lautsprecher plärren über den Militärflugplatz: „Alarmstufe rot für Rotte 2 unter Commander McAllister. Alle Mann sofort an Bord zum Feindeinsatz! Bewegt den Arsch! Oberste Priorität!“

In Windeseile rennen die US-Boys zu ihren Maschinen. Einige haben ihre Hemden in der Eile noch nicht zugeknöpft, andere haben keine Zeit mehr, sich die Lippenstiftreste von den Amüsierdamen aus dem Gesicht zu wischen.

„Was ist denn eigentlich los?“ ruft Captain Robster seinen Mechanikern zu. „Was habt ihr denn überhaupt die ganze Nacht lang geladen?“ Als Antwort nur Achselzucken: „Fässer mit orangenen Streifen. Mehr wissen wir auch nicht!“ „Das kann ja heiter werden“, denkt Robster, schließt die Sicherheitsgurte und schaltet den Bordfunk ein, um routinemäßig die Fertigmeldung für seine Maschine abzugeben. Dann knisterte es und der Chef meldete sich: „Hier McAllister. Wir haben soeben den Befehl erhalten, 120 km nordwestlich von Da Nang eine Gruppe von Vietcong- Widerstandskämpfern auszuräuchern, die sich dort im Wald versteckt halten und unseren Kameraden auf dem Boden erhebliches Kopfzerbrechen bereiten. Wir sollen das Vertrauen in ihre Unbesiegbarkeit  ein wenig erschüttern, indem wir ihre Wälder entlauben und sie dadurch sichtbar machen.  Die bei Ihnen allen in der vergangenen Nacht bereits geladenen Fässer enthalten ein erprobtes Pestizid namens agent orange. Mir wurde ausdrücklich versichert, dass es sich dabei um ein für Menschen vollkommen unschädliches Pflanzengift handelt und wir selbst keinerlei Gefahren ausgesetzt sind. Es macht nur die Verstecke der Charlies für uns sichtbar. Also auf geht`s, Jungs! Code-Name ist Operation Ranch Hand.“

Die Motoren werden angelassen und ein Geschwader von acht Fairchild C119 strebt seinem Ziel entgegen. Weisungsgemäß werden die Zielfläche einschließlich der dort errichteten Dörfer und Unterkünfte übersprüht. „Mission completed!“, grinst McAllister nach der verlustfreien Rückkehr seiner Rotte.

(298 Worte)


Das Foto, das Nick Ut einen Pulitzerpreis einbrachte.
 (Foto: picture alliance / AP)

Weitere Info:

1969 war die Hälfte des anbaufähigen Landes besprüht. In den nachfolgenden Projekten Operation Sherwood Forest und Operation Pinky Rose wurden auf die vertrockneten Pflanzen Brandbomben abgeworfen, um vorsätzlich Feuerstürme auszulösen. Die Amerikaner warfen im Verlauf des Krieges acht Millionen Tonnen Bomben auf Vietnam ab, mehr als doppelt so viel wie im gesamten Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen.

19 Comments

  1. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hab mir eben auch noch mal Wikipedia zu Agent Orange aufgerufen. Trotz CN und allem, mir ist jetzt schlecht. Wenn man davon ausgehen könnte, dass „so was“ nie wieder vorkommt … aber das kann man nicht, und das macht es nicht einfacher. Wir könnten die Nächsten sein, „Feind werden/sein“ passiert so willkürlich.
    Kloß-im-Hals-Grüße
    Christiane 😦

    1. Danke, Christiane. Mir geht es auch nicht anders. Mir gehen diese Greueltaten auch nach diesen vielen Jahren nicht aus dem Kopf. Und wenn auch wir uns nach den Nachrichten der letzten Wochen auch bei der Bundeswehr schon auf einen Drohnenkrieg einstellen wollen, wo es ganz leicht wäre gezielt chemische Kampfstoffe auszutragen, dann wird mir noch schlechter. Bei der Atombombe steht die Ausrottung der gesamten Menschheit als Worst-case-Szenario im Raum. Drohnen kann man spot-weise einsetzen, und das wird sicherlich die Hemmschwelle irgendwann noch mehr senken.

      1. Ich geb dir völlig recht, was die sinkenden Hemmschwellen angeht. Ich hatte so einen Hilfe-ich-will-hier-raus-Anfall, als ich „gesehen“ habe, wie sie im Weißen Haus live bei der Tötung Osama Bin Ladens zugeschaut haben.
        Gruselig.

  2. Was Menschen anderen Menschen antun…man kann es nicht nachvollziehen. Auf jeden Fall ist die Perspektive, in der du geschrieben hast, super. Man befindet sich im Schrecken, hat aber genug Abstand, dass man eine Beobachterposition hat und das schreckliche Leid erfassen kann.

    1. Das noch schlimmere ist ja, dass dieser Kampfmitteleinsatz keine juristischen Folgen für die USA hatte und dass viele GI’s selbst jahrelang oder jahrzehntelang unter den Folgen gelitten haben,

      1. Absolut. Die Auswirkungen für die Bevölkerung und die Soldaten wirken bis heute.
        Mein Großonkel aus Australien war dort und musste sich bis an sein Lebensende immer wieder operieren lassen. Er nannte es „meine Löcher in den Beinen“. Er hat nie drüber geredet, aber ein Buch darüber geschrieben.

      1. Vielleicht fangen die Amerikaner ja irgendwann an, ihre Verbrechen aufzuarbeiten, Ihre Schuld zu bereuen. Ich warte auf den Präsidenten, der vor dem Denkmal der Opfer des Vietnamkrieges niederkniet.

      1. Es gab übrigens eben in unserem 3. Programm eine gute Doku über Lyndon Johnson, der nach der Ermordung Kennedys Präsident wurde und dann in den kommenden Wahlen die höchste Zustimmung an „polpular votes“ in der Geschichte Amerikas bekam. Tatsächlich hat er viel für die Gleichstellung der Schwarzen und Indigenen und für die Bekämpfung der Armut getan, aber er hat auch diesen schrecklichen Vietnamkrieg aus dem Ruder laufen lassen, hat die Flächenbombardierungen angeordnet.

  3. Yes, we can , da my mozhem, nem nastatie usw., und keiner wird sie aufhalten bzw. hält sie auf in ihren Greueltaten – sie alle haben ja genug damit zu tun, uns immer wieder unsere vorzuwerfen – der Vorwurf ist total berechtigt, nur ihre Mitschuld daran, wollen sie auch nicht wahrhaben. Das Geld, das für Vernichtungswaffen ausgegeben wird und an deren Verkauf sehr viel verdient wird, der Wohlstand unseres Landes beruht zum Teil auch darauf, eigentlich alles total unverständlich – da wird auf die Bibel geschworen, Friede herbei gewünscht und die Wirklichkeit ist der reinste Horror. Der Mensch ist des Menschen Feind und wird es immer bleiben.
    Ein unberechenbarer Psychopat konnten den Atomkoffer mit sich bis zum letzten Tag herumtragen – was sind das für Ermächtigungsgesetze?

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