ABC-Extraetüde 14.2020 – Karate-Kid


Link zu Christianes Schreibeinladung

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monument-valley-1081996_1920Bild von Free-Photos auf Pixabay

 

Karate-Kid

Sie ritten schon den ganzen Tag lang nach Nordwesten, Doc Holiday und Django Silberlocke. Noch war es warm, aber schon bald nach Sonnenuntergang würde die Kälte sie einholen. Es hieß also, zeitig eine windgeschützte Stelle in der Steinwüste zu finden und noch schnell ein wenig Holz zu sammeln, um ein kleines Feuer zu entfachen, an welchem man sich die klammen Hände wärmen konnte. Und Doc Holiday wollte natürlich nicht auf seinen Abendkaffee verzichten. Der half ihm, die Blähungen von den Bohnen mit Speck etwas abzumildern. Langsam hingen ihm die baked beans nämlich zum Halse raus. Vier Wochen waren sie ja nun schon unterwegs und der Spur von Karate-Kid gefolgt. Doc Holiday wollte gerade anfangen, sein Lieblingslied zu dem Säuseln des Windes in den Agaven zu singen, als Django Silberlocke ihm ein Zeichen gab, zu schweigen.

„Du siehst doch, dass ich gerade meine Yoga-Matte ausgerollt habe. Ich brauche jetzt Stille, um meine Übungen zu machen. Bitte!!“ flehte er Doc Holiday an, schnallte seinen Revolvergürtel ab und warf ihn zu den bereits ausgezogenen Leder-Chaps und dem rosa Poncho.

„So in Unterhemd und langen Unterhosen siehst du ja zum Piepen aus!“, konnte sich Doc Holiday nicht verkneifen. „Aber mach nur, ich gehe derweil die Kakteen anzapfen, damit wir neuen Tequila ansetzen können. Bei der Kälte des Nachts muss man vorsorgen, damit wir nicht morgen früh aufwachen und sind erfroren.“

„Du immer mit deinen blöden Witzen! Hau ab, sonst fliegt dir noch eine Kugel von mir um den Kopf!“

„Ist ja gut!“, reflexartig antwortete Doc Holiday. „Ich finde es zwar etwas lächerlich, wie du dich da verbiegst und dein Om klingt auch so, als hättest du eine heiße Kartoffel im Mund. Das musst du schon drei Oktaven höher ansetzen!“ Rasch duckte er sich, denn auf den überraschend von Django Silberlocke angesetzten Wurf mit einem Stiefel war er nun doch nicht gefasst gewesen.

Im selben Moment sah er das Mündungsfeuer und spürte den heißen Luftzug, der geradewegs an seinem Gesicht vorbeizischte. „Verdammt, das war knapp!“, flüsterte er. Im Fallen machte er eine Drehung, griff nach seinem am Boden liegenden Gehstock und versetzte diesen in eine rasende Auf- und Abwärtsdrehbewegung, bis er ihn mit einem plötzlichen kraftvollen Schwung in Richtung des erloschenen Mündungsfeuers katapultierte. Ein Aufschrei ertönte, Doc Holiday sprang auf, lief in Richtung Schrei und plötzlich lag der vom wirbelnden Stock getroffene Karate-Kid vor ihm. Und ehe der sich noch besinnen konnte, hatte Doc Holiday ihm bereits die Hände auf den Rücken gebunden und zerrte ihn in Richtung Lagerfeuer.

„Wow!“, entfuhr es da Django Silberlocke. „Wo hast du denn das gelernt?“ „Ach“, meinte Doc Holiday, „ich bin da so Follower einer Blogger-Gruppe in Tucson und Krissi aus dem Aikido-Saloon hat da beschrieben, wie man die Lemniskate-Technik anwendet. Und das hab ich heute mal versucht umzusetzen.“ Nach einer Pause fährt er fort: „Aber irgendwie riecht es hier komisch, findest du nicht?“ Django bekam einen knallroten Kopf und blickte schuldbewusst zur Seite.

Doc Holiday brach in schallendes Gelächter aus. „Morgen ist Waschtag!“ prustete er los.

 

(498 Worte)

walking-stick-88770_1920Bild von David Mark auf Pixabay

 

21 Comments

    1. Danke Gerhard, ich wollte auch mal wieder den Kopf frei bekommen. Und manchmal habe ich Spass an solchen längeren Geschichten, weil man da immer einfach verschiedene Welten miteinander verbinden kann.
      Gruß von der Nidda an den Main!

  1. Hör mal, die beiden älteren Herren *hust* sind aber wirklich mit allen Wassern gewaschen, das finde ich ja richtig großartig. Auf dass sie noch lange den Wilden Westen deiner Phantasie unsicher machen können! 😀
    Karate-Kid …! Danke für den Aikido-Link, sehr interessant.
    Liebe Grüße
    Christiane 😀

    1. Der Aikido Link von Christine, bei der ich regelmäßig lese, weil sie ihr Training „philosophisch“ verarbeitet, hat mich irgendwie zu Doch Holidays neuen Techniken ermuntert. Wobei Django am Ende die volle Unterhose eigentlich nicht verdient hat. 😷😷

    1. Danke! Als ich bei Christiane anfing in den Etüden mitzuschreiben, kamen von meiner Seite nur Gedichte. Ich versuchte, alles immer möglichst kompakt auf den sog. Punkt zu bringen.
      Mit der Umstellung von 10 Sätzen auf 300 Worte bin ich dann langsam ins Geschichten schreiben gerutscht. Und da ich selbst mit Western-Romanen (von meinem Bruder zugeschoben) groß geworden bin, bin ich diesem Genre auch in den Etüden schon etwas verfallen. Karate-Kid ist glaube ich meine 7.te Western-Etüde.
      Freut mich sehr, wenn Du Spass daran hast!

      1. Hatte ich auf jeden Fall, meine erste große Liebe war Winnetou, so mit 13 und ich habe als Teenie alle Karl May Bücher mehrfach gelesen. Im dichten bin ich hingegen eher unbegabt, ich lese sie lieber 🙂

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