ABC-Etüden-IM-III-2020 – Lexikon


Schreibeinladung von Christiane

Mein Western Lexikon

Sommer 1888 in Abilene, der berühmten Rinderstadt in Kansas. Die Bürger waren stolz auf den ersten Viehverladebahnhof Amerikas, den Joseph McCoy hatte bauen lassen. „Ein Mordsgeschäft!“ meinte Jesse Poisoner, der Apotheker des Ortes. „Und nicht nur für McCoy. Vor allem für die Kansas & Pacific Railway, die mit ihren schier endlosen Zügen pro Jahr um die 500.000 Rinder zu den Bestimmungsorten im Westen und vornehmlich im Osten verfrachtet und damit ein Heidengeld verdient!“.  „Das habe ich nicht gewusst.“, antwortete sein Schwager, der erst kürzlich aus Ohio angereist war. „Ich interessiere mich eher auch für die Revolver-Duelle, die hier stattgefunden haben sollen.“ Er zupfte ziemlich lustlos an seinem Banjo. „Im Osten träumen wir von den Geschichten  der Duelle der besten Revolverschützen, so mit Count-down und am Ende fallen sie beide um.“ Jesse Poisoner schmunzelte. „Ja, in den Jahren, als sich das hier alles entwickelte, da brauchten die Leute nicht nur Dynamit, um die Durchfahrten für die Eisenbahn frei zu sprengen, nein, sie hatten es auch noch in den Fäusten! Vor allem die Farmer, die weit draußen lebten und jederzeit bereit sein mussten, ihr Leben und das ihrer Tiere zu verteidigen!“

Jesse hatte gerade zu Ende gesprochen, als ein Cowboy in gestrecktem Galopp an ihnen vorbei preschte. Sein Schwager schaute auf die Uhr: „12:00 Uhr Mittag oder wie ihr hier sagt High-Noon! Oder doch nur ein Bote, der Nachricht von einem Angriff der Indianer überbringen will? Was meinst du, Jesse?“

Jesse lehnte sich in seinem Schaukelstuhl zurück. „Nein, keine Indianer. Dann hätte man mir und dem Sargtischler Bescheid gesagt, dass wir Verbandmaterial und Holzkisten für den Doc und den Undertaker richten sollen. Ich tippe eher auf Bruce Kenston. Der will sicher zu seiner Jersey Lilly, weil er es ohne sie nur wenige Stunden aushält, so verrückt hat die ihn gemacht!“

„Jersey Lily?“, ein fragender Blick traf den Apotheker. „Meinst du DIE Lilly Langtry??, die berühmte Sängerin? Die ist hier?“ „Ach nein, nicht das Original, nur ein Double, das ist doch zurzeit in. Die tritt jetzt in Roy Browns Saloon auf, nachdem man auf ihren Ex ein Kopfgeld ausgesetzt hatte.“, führte Jesse geduldig aus.

 „Noch ´ne Frage, Jesse, wo kann ich mir hier denn ein Lasso besorgen?“ „Was willst DU denn mit einem Lasso, sag mal!“ „Ach weißt du“, antwortete der Schwager, der sich kurz auf den vorbeiratternden gelben Wagen gesetzt hatte, „ich sammle alte Stücke, die hier aus dem Westen stammen. An einem Morseapparat, wie sie ihn an den Bahnstationen benutzen, wenn ein Überfall stattgefunden hat, wäre ich auch sehr interessiert!“ „Hast du denn genug Nuggets auf der Kante, um das zu bezahlen?“ „Nee, so viel Geld wie Annie Oakley bei  ihren Auftritten in Buffalo Bills Western Show verdient, habe ich natürlich nicht. Aber ich dachte, wenn ich hier bei eurer Station des Pony Express als Logistik-Leiter einsteige, dann kann ich mir das wohl leisten.“ Jesse Poisoner lachte laut los. „Ehe du lernst richtig auf einem Gaul zu reiten, musst du erst bei William Quantrill und seiner Partisanen-Bande in die Lehre gehen! Sonst fällst du schon bei der Reitprüfung voll durch!“

„Nee, so ein Rustler-Leben mit Rinderdiebstahl und Brandzeichen verändern, das ist doch eher nichts für mich. Wenn da mal eine Panik unter den Tieren ausbricht und die wie wild davon rennen!“  Der Schwager  schüttelte sich. „Stampede nennt man das, du Greenhorn! Nicht mal das weißt du!“ “Hey, Jesse, schau mal da“, lenkte der Schwager ab, „ da bringen sie einen Kranken oder Verletzten in die Stadt, da hinten! Wie aufgebahrt auf dem Stangengerüst, welches das Pferd hinter sich her zieht!“

„Schwager, das kennt ihr wohl nicht im britischen Osten, was? Ein Travois ist das! Haben sich die ersten französischen Siedler von den Indianern abgeguckt. Verdammt praktisch, solange man den Verletzten durch weichen Wüstensand zieht. Für eine Handvoll Dollar kannst du dir so ein Ding ja mal probeweise leihen!“ Jesse lachte in sich hinein. „ Ich muss da mal eben hin, vielleicht lauert da ein Geschäft für mich!“ Jesse Poisoner griff nach seinem Hut. Kurze Zeit später kam er zurück. „Der Doc hat den Verletzten neu verbunden. Jetzt muss er mit der nächsten Abfahrt der Union Pacific nach Salina verlegt werden, zu den Spezialisten für Lungendurchschüsse. Schade, um den Mex, denn er war ein guter Hilfs-Vaquero auf Dorson`s Ranch, fast so gut wie die richtigen Cowboys. Und treu war er auch. Von Dorson weiß ich, dass er damals dessen Frau gerettet hatte, als die 100-köpfige Banditenbande von McCarty dessen Ranch überfallen hatte.“ „Du meinst den wilden Haufen, den sie Wild Bunch nannten? Und wo auch Butch Cassidy, Sundance Kid und die Logan-Brüder dazu gehörten?“ „Genau die!“, nickte Jesse. „Die haben damals auch versucht Longhorns von der XIT-Ranch in Texas zu stehlen, der größten Ranch, die es jemals im Südwesten, ach, in ganz Amerika, gab! Sind aber nicht weit gekommen, weil sie immer wieder in den Weidezäunen aus Stacheldraht hängen blieben. Ein paar von denen haben sie gefangen nehmen können und sie in das Hochsicherheits-Staatsgefängnis nach Yuma am Südwestzipfel von Arizona gebracht. Dort sind sie dann hingerichtet worden.“

„Sag mal Jesse, du weißt ja fast alles. Kannst du mir auch erklären was damals mit den Indianerstämmen im Missouri-Gebiet passiert ist? Die Zeitungen im Osten haben da ja nur Fake-News gebracht, was die Zwangsumsiedlung betraf.“ „Das ist ein heißes Eisen, Schwager. Darüber solltest du nur mit vorgehaltener Hand sprechen. Die Stämme der sog. ‚Five Civilized Tribes‘ oder auch ‚Zivilisierte Nationen‘ genannt, wurden ja nach dem Indian Removal Act von 1830 nach Oklahoma umgesiedelt. Trail of Tears nannte man das später und war ein wirklicher Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den Indianern und uns Weißen. Aber das solltest du später mal in den Geschichtsbüchern nachlesen.“

 

 


Bildquelle: www.pinterest.ie

13 Comments

  1. Ich finde das großartig, lieber Werner, nicht nur, dass du den Vorschlag von Olpo wirklich aufgegriffen hast, sondern den Versuch einer sachlichen Darstellung. Ich muss nämlich zugeben, dass ich eigentlich so gut wie nichts *hust*, also: sehr wenig, über den tatsächlichen „Wilden“ Westen weiß, das meiste eben wirklich durch Filme oder irgendwelche Romane, denen ich unterstelle, zumindest tendenziös oder an der historischen Wahrheit schlicht nicht interessiert gewesen zu sein. Ich bin sehr gespannt, in welche Richtung du das Thema noch weiterentwickeln wirst, und freue mich tatsächlich schon mal vor.
    Wie schön, dass du dir die Mühe machst!
    Liebe Nachtschwärmergrüße
    Christiane 😀

    1. Ich hab mich selbst gewundert, weil ich erst die Begriffe festgelegt hatte, ohne schon im Vorhinein einen Text im Kopf zu haben.

      An manchen Tagen läuft’s halt ganz gut.

      Und: Danke!

  2. Ich schließe mich allem Lob an und füge noch weiteres Lob über das graphisch höchst gelungene Lexikon hinzu. Mein Wissensstand über den „Wilden Westen“ dürfte ähnlich sein, wie der von Christiane 😉

    1. …. habe ich im Internet gefunden unter dem Stichwort Western ABC, dann auf Powerpoint gezogen und mittels Texteingabe die Begriffe eingefügt. Das war also nicht ganz auf eigenem Mist gewachsen.

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